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von Thorsten

Ich hatte die Qualifikationsbedingungen erfüllt und Glück bei der Auslosung. Beim UTMB in Chamonix zu starten, ist ein absolutes Privileg. Weltweit versuchen unzählige Athleten sich ihren Traum vom Lauf um den Mont Blanc zu erfüllen. In diesem Jahr waren Sportler aus über 100 Nationen dabei. Folglich gab es keine Zweifel, ich musste meine Chance nutzen.

profil utmb 2021

In der Event-Woche vom 22. bis zum 26. August stehen mehrere Streckenformate zur Auswahl. 100.000 Zuschauer sind in dieser Zeit in Chamonix. Rund 10.000 Sportler verteilen sich auf die verschiedenen Distanzen. 

Beim Hauptlauf -meinem Lauf- starteten 2.600 Sportler und Sportlerinnen. Darunter auch die absolute Legende Kilian Jornet. Die Strecke geht einmal komplett um das Mont Blanc Massiv herum. 10.091 Höhenmeter rauf, 10.091 Höhenmeter runter und 171 km sind zu bewältigen, um nach dem Start in Chamonix auch dort wieder anzukommen. Die Strecke verläuft im hochalpinen Terrain und geht bis auf 2.600m ünN, überwiegend technisch anspruchsvolle Trails. Dabei laufen wir durch Frankreich, Italien und die Schweiz.

Wie lange braucht man für diese Distanz? Wie viele haben durchgehalten? Habe ich durchgehalten?

Am Mi. 24.08.2022 sind Petra und ich bereits in Chamonix eingetroffen. Das Tal von Chamonix ist absolut sehenswert! Zu beiden Seiten erstrecken sich gewaltige Gebirgsmassive. Und natürlich der 4.808m hohe „Weiße Berg“. Und dann die unzähligen Trailrunner! Eine unglaubliche Atmosphäre, eine unglaubliche Stimmung und das bei bestem Sommerwetter.

Abends bin ich noch eine schöne lockere Eingewöhnungsrunde gelaufen. Gemütlich gegrillt. Do. Startunterlagen abholen, Stimmung genießen. Nochmals check meines Rucksacks mit der Pflichtausrüstung (Verbandszeug, Rettungsdecke, Signalpfeife, Essen und Trinken, Regenjacke und Hose, Pullover, Sonnenbrille, Mütze, Halstuch, usw.), und Planung, wo Petra mich betreuen darf, welche Ersatzklamotten Sie dabei haben soll und wie der exakte Ablauf bei den Pausen ist. Ein Problem war nur, wie kommt Petra zu den wenigen erreichbaren Verpflegungspunkten? Der Shuttelbus war ausgebucht, die Straßen teilweise für den normalen Verkehr gesperrt. Zur Sicherheit habe ich noch einen Reservepullover und die helle aber schwere Stirnlampe zusätzlich in meinen Rucksack gepackt, falls Petra sich nicht rechtzeitig „durchschlagen“ kann. Zur Entspannung eine leckere Pizza zum Abschluss des Tages.

Freitag, 26.August – 18 Uhr der Startschuss.

Den Tag ganz locker verbracht. Viel gegessen. Um 16 Uhr in Chamonix am Startbereich angekommen. Die Stadt war voll. Der Startbereich war voll. Aber beste Stimmung. Nochmals ordentlich getrunken. Auf einem Mauervorsprung gewartet. Irgendwann erklang dann die Ultimative Hymne Conquest of paradise von Vangelis. Ich hatte mich vielleicht etwas zu weit hinten eingereiht, aber mein glasklares Ziel war das Finish – mehr nicht. Also sollte das doch nicht so tragisch sein. Wir liefen durch Chamonix. Kilometer um Kilometer an frenetisch klatschenden Zuschauern vorbei. Dicht gedrängt an beiden Straßenseiten. Gänsehaut!

Nach 3:09:53 Stunden (21,6 km; 921 hm; Fr. 21.09 Uhr) war ich in Saint Gervais. Es war bereits dunkel. Party im ganzen Ort! Petra stand am Streckenrand! Betreuung war hier noch nicht erlaubt. Auffüllen der Trinkflasche, ein paar Kräcker und weiter ging es. Nicht ganz so schnell, weil sich doch zwischenzeitlich an den steilen und schmalen Stellen die Läufer stauten – vielleicht war ich doch zu weit hinten gestartet? Viel überholen war nicht möglich – auch nicht sinnvoll, das kostet zu viel Energie. Also habe ich meinen hinteren Platz „verteidigt“ und Kraft gespart.

1Nach 4:48:41 (31,3 km; 1.420 hm; Fr. 22.48 Uhr) Stunden war ich in Les Contamines. Petra hatte einen Bus ergattert und war da. Hier durfte Sie mich das erste Mal betreuen. Langes Unterziehshirt an, frisches T-Shirt drüber, Brühe mit Weißbrot und Bergkäse, Trinkflaschen halb mit Cola, halb mit Wasser gefüllt, einen Schluck Kaffee. Verabschiedung. Petra werde ich erst am Vormittag in Courmayeur wiedersehen.

Das Laufen in der Nacht war o.k., sternenklar, aber dennoch dunkel– es war zwar kühl, aber meine Klamottenwahl war perfekt.

Allerdings begann nun etwas, was einen viel zu großen Platz während des gesamten Rennens einnehmen würde. An beiden Knien zwickte die Patellasehne zunehmend mehr. Noch versuchte ich mich, nicht davon irritieren zu lassen. Schmerzen gehören zu einem Ultralauf dazu, es ist nur die Frage, wie man sie empfindet. Noch gelang es mir sie auszublenden.

Nach 16:42:41 (80,9 km; 4.608 hm; Sa. 10.42 Uhr) Stunden war ich in Courmayeur. Ich hatte bereits 4.608 Höhenmeter und 81 km geschafft. Die erste Nacht war ich durchgelaufen. Jetzt war es 10.42 Uhr. Frisches T-Shirt an, Stirnlampe zum Aufladen (für die zweite Nacht) an Petra, Füße eingecremt, neue Socken. Wieder Brühe mit Weißbrot und Bergkäse, Kaffee. Kurz durchatmen. Ich lag ca. 30 min hinter meinem Race-Plan – also alles noch o.k.!

Das Wetter war gut. Jetzt begann die Strecke die ich 2019 schon einmal gelaufen bin. Physisch war ich auch noch gut drauf. Keine Magenprobleme, kraftvoller Stockeinsatz, keine müden Oberschenkel, keine Blasen – alles bestens? Leider nein. Die Patellasehnen zwickten weiterhin und es gelang mir nicht meinen Fokus auf etwas Anderes zu lenken – zumindest jetzt nicht mehr. Laut meinem Plan lagen noch rund 25 Stunden Wettkampf vor mir. Den ganzen Tag (der hatte ja erst begonnen), eine ganze Nacht und dann nochmals einen halben Tag. Keiner meiner mentalen Tricks war geeignet, um meine Psyche optimistisch zu stimmen. Viel zu lang erschien mir die Zeit, die ich noch mit diesem Zwicken laufen musste. Jetzt passierte so langsam das, was keinem Ausdauersportler passieren darf – die negativen Gedanken gewinnen die Überhand. Doch noch gab ich mich nicht schlagen.

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Nach 23:24:40 Stunden hatte ich den 2.600 m hohen Grand Col Ferret erklommen – den höchsten Punkt des Laufs. Dem höchsten Punkt folgte jedoch auch der längste Downhill. Ich war noch dabei. Die Landschaft war schön, das Wetter war gut, ich hatte Kraft, aber –ihr wisst schon, permanent musste ich an diese blöden Knie denken – unfassbar. Der Abstieg war mental extrem fordernd.

Nach 25:27:28 (112,9 km; 6.634 hm; Sa. 19.27 Uhr) war ich in der Verpflegungsstation La Fouly. Es war mittlerweile 19.27 Uhr. Und jetzt machte ich etwas, was zumindest nicht zu einem Sportler passt, aber vielleicht meine Hilflosigkeit ausdrückte. Ich rief Petra an, die in der nächsten Station in Champex Lac auf mich wartete. Ich habe aber keineswegs mein Leid geklagt, ich habe nur einen Satz gesagt: „Meine Patellasehne schmerzt“. Und weiter ging es für mich. Petra wusste gleich, dass etwas nicht stimmte, wie kann Sie mir helfen, was kann man machen? 

63 Stunden und 20 Minuten war ich unterwegs bis nach Champex Lac – in dieser Zeit hatte ich für mich den Entschluss gefasst auszusteigen. Ich war jetzt 28:49:52 Stunden auf den Beinen, dann kann mir doch niemand einen Vorwurf machen, das ist doch kein Scheitern – ich legte mir wunderbare Ausreden bereit. Im Champex Lac verlief die Pause und das vermeintliche Ende meines Rennens jedoch völlig anders als ich mir gerade 3 Stunden lang ausgemalt hatte. Petra dachte überhaupt nicht daran, mich in meinem Tief noch zu unterstützen. Wie ursprünglich abgesprochen, tauschte Sie die Riegel und Gels aus, stellte mir Kaffee und Brühe hin. Führte mich dann zum Sanitätszelt, wo mir die Sehnenansätze und Oberschenkel massiert wurden. Petra hatte ein kühlendes Gel dabei, was Liderung brachte und das ich gleich einsteckte. Dann gab Sie mir meine helle Stirnlampe. Da war Petras professionelles Verhalten und dann kam auch noch eine Nachricht vom Trainer: „wenn du das Knie beugen kannst, kannst du weiter“. 

Tja, es ist schon seltsam – auf einmal ertrank ich nicht mehr im Selbstmitleid. Vielmehr hatte ich jetzt einen Blick für alle die Läufer, die noch mit viel größeren Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Ich schaute auf die Läufer, die aus der ganzen Welt angereist waren, um sich ihren Traum vom UTMB Finish zu erfüllen. Keiner würde wegen einer zwickenden Patellasehne aufhören, was war denn bloß die ganzen letzten Stunden mit mir los? Mir gelang es jetzt wieder, mein Ziel in den Fokus zu rücken. Petra und Martin hatten mich erfolgreich „in den A… getreten“. Und ich lief weiter!

Gut ganz so schnell gings dann nicht, aber definitiv war jetzt die negative Gedankenspirale durchbrochen. Jetzt wieder zuversichtlich lief ich in meine zweite dunkle Nacht. Ein wenig nervig war jetzt der Kampf gegen die Müdigkeit. Leichte Halluzinationen setzten ein. Aber anders als viele andere legte ich mich nicht irgendwo auf die Strecke zum Schlafen.

Nach 34:22:12 (142,9 km; 8.288 hm; So. 4.22 Uhr), also um 4.22 Uhr war ich in Trient, der vorletzten Station. Auch hier war wieder Support erlaubt. 15‘ Powernapping – dann weckte mich Petra wieder. Ich verpflegte mich etwas ausgiebiger, schmierte meine Knie wieder mit wohltuend kühlender Salbe ein. Die Gedanken ans Aufgeben waren völlig verschwunden. 

Als es langsam hell wurde, kam die Vorfreude auf das Finish – noch lag einiges vor mir. Nach 38:12:30 (153,4 km; 9.118 hm; So. 8.12 Uhr) war ich in Vallorcine, der letzten großen Verpflegungsstation. Gleiches Ritual wie bei alles Stationen: Trinkflaschen mit Cola und Wasser, neue Gels in den Rucksack, viel Brühe mit Weißbrot und Käse, Kaffee und auf ging es zur letzten Etappe. Jetzt war ich mental wieder so stark, dass es mir gelang mich völlig auf das Rennen zu konzentrieren. Die Gedanken waren weit weg vom Knie. Die Muskeln fühlten sich noch extrem gut an. Ich hatte noch Kraft.

Um die Müdigkeit zu unterdrücken, gab ich jetzt noch einmal Vollgas. Extrem kraftvoll und dynamisch, nahm ich den letzten steilen Anstieg (immerhin noch knapp 1.000 hm), so als wäre es der erste und einzige. Mit traumhaftem Blick auf den Mont Blanc bei herrlichem Sommerwetter lief ich jetzt auf den legendären Balcon de Sud. Schön. Technisch anspruchsvolles Gelände. Ich sprang über die Steine, kein Anschlagen, kein Stolpern. Ein grandioses Gefühl. Der letzte Abstieg nach Chamonix war nochmals etwas belastend für die Knie aber letztendlich erstaunlich locker. Um 12.26 Uhr nach 42:26:52 Stunden war ich im Ziel. Mein eigener Race-Plan sah eine Zielzeit von 42:30:00 Stunden vor – ich war also 4 Minuten schneller. Die Mittagszeit war auch ganz passend, wenn man von möglichst vielen Zuschauern mit Applaus begrüßt werden will. 

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Der Zieleinlauf. Die Emotionen, nach 42,5 Stunden Wettkampf mit seinen Höhen und Tiefen, sind überwältigend. In diesem Augenblick gab es nur Freude, sonst nichts.

Der Spanier Kilian Jornet ist die Legende im Trailrunning. Er hatte den UTMB bereits dreimal gewonnen. In diesem Jahr war er nochmals dabei – kann er noch mit den jungen Wilden mithalten? Und wie! In einer unfassbaren Zeit von 19:49:30 Stunden hat er einen neuen Streckenrekord aufgestellt. Auch Platz zwei ging mit den Franzosen Mathieu Blanchard an einen Routinier. Seit Jahren versuchen die US-Amerikaner den UTMB zu gewinnen – bisher erfolglos. In diesem Jahr waren Sie wieder mit ihren besten Sportlern vertreten. Jim Walmsley und Zach Miller wurden 4. und 5. – wieder ein Jahr ohne amerikanischen Sieg.

Der Deutsche Hannes Namberger galt nach seinem Sieg beim Lavaredo Ultra Trail im letzten Jahre sogar als Geheimfavorit. Er musste jedoch nach einem Sturz aufgeben. 

Der beste deutsche Teilnehmer war mit Gesamtrang 97 eine Frau, Eva-Maria Sperger. Der beste deutsche Mann (Christoph Flake) kam mit der Position 264 (32:14:50) ins Ziel. Hanno Witte, der diese Zeit sicherlich hätte toppen können, musst mit Magenproblemen in Courmayeur aussteigen.

Knapp über ein Drittel der Starter sind nicht ins Ziel gekommen. Ich habe es geschafft!

171 km; 10.091 hm; 42:26:52 Stunden, Gesamtrang 1.179; AK Platz 242.

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