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von Thorsten

In diesem Jahr fand die zwanzigste Brocken-Challenge statt. Ein Wohltätigkeitslauf über 80 km und 2.000 hm von Göttingen auf den Brocken. Ich war bereits zum vierten Mal dabei. 2018 war die BC mein allererster Ultralauf.

Die äußeren Bedingungen waren gut, die Vorbereitung verlief planmäßig. Gut trainiert, keine Verletzung oder Infekt in der direkten Vorbereitungsphase. Ich kannte die Strecke. War zwei Wochen vorher nochmals Vorort, um ein Teilstück der Strecke als Training zu absolvieren. Drei Tage vor dem Lauf als Vorsichtsmaßnahme noch ein Termin beim Physiotherapeuten; kleine Blockaden gelöst, die Beine und Faszien gelockert.

Ich habe den Lauf sehr akribisch geplant. Genaue Durchlaufzeiten kalkuliert, Verpflegung exakt berechnet, Gepäck auf ein Minimum reduziert. Mit Martin abgestimmt, wann er mir neue Eigenverpflegung anreicht und er mir die Wechselschuhe (von Straße auf Cross) gibt.

Am Vorabend mit leckeren Nudeln die Energiespeicher aufgefüllt. Viel getrunken. Gut geschlafen. Entspannt und gut gefrühstückt (Haferschleim und Kaffee).

Mein Vater hat mich früh morgens zum Startpunkt im Göttinger Wald gebracht. Beim Start um 6 Uhr, milde, fast zweistellige Temperaturen. Ideales Wetter. Ideale Laufbekleidung, leichte Straßenschuhe. Sportgetränkt vor dem Start – und los ging es!

Eine perfekte Vorbereitung! Und ein klares Ziel vor Augen: heute absolviere ich die Strecke in unter 8 Stunden. Ein kraftvoller Schlussanstieg und dann stehe ich um 14 Uhr auf dem Brocken! So der Plan. Sub 8 - ambitioniert, aber im Bereich des Möglichen.

Eine Sache war heute Morgen anders – es fehlte die Anspannung, die Nervosität. Lief alles zu Perfekt? Was sollte jetzt noch schiefgehen?

BC StNrDer Start war gut. Ich hatte Lust. Bin gut ins Laufen gekommen. Es waren viele gute Läufer dabei. Das Anfangstempo war hoch. Mein Puls: höher als geplant. Die ersten Verpflegungspunkte erreichte ich schneller als vorgesehen – zu schnell? Nein, das passte noch. Ich fühlte mich gut und schnell sollte es heute ja auch werden. Barbis, am Rand des Harzes: Die erste Hälfte, 42 km, bis hierhin überwiegend Wirtschaftswege und viel Asphalt. Ein paar Minuten schneller als geplant. Hier war Martin. Schuhwechsel, Gels und Sportgetränk aufgefüllt. Ich lag an Position 6. Alles scheinbar noch gut. Exakt hatte ich die geplante Anzahl an Gels zu mir genommen und auch genau die anvisierte Menge getrunken.

Doch ein wenig gequält sah ich wohl aus, so Martins Einschätzung. Mein Gesicht: völlig salzverkrustet. Ab Barbis geht‘s in den Harz – bergauf! Die nächsten anspruchsvollen Kilometer kannte ich genau. Noch war ich zuversichtlich hinsichtlich meiner Ausdauer.

Beim Loslaufen war ein Läufer vor mir. Kurz überlegt, ob ich aufschließen soll oder vernünftiger Weise erstmal nur den Abstand halte – jedoch: der Abstand wurde sehr schnell, ungewöhnlich schnell, größer. Ein weiterer Läufer von hinten -zügig an mir vorbei. Ich war deutlich langsamer unterwegs als die Beiden. 10 km, fast nur bergauf.
VP
Jagdkopf. Mein Zeitguthaben von Barbis hatte ich aufgebraucht, aber noch passte mein Zeitplan.

Jetzt 10 km wellig, nur moderat bergauf bis zum VP Lausebuche, wo Martin auf mich wartete.

Nochmal flüssig und locker ins Laufen kommen, eine paar Minuten Zeit gut machen, bevor es dann nur noch steil bergan Richtung Brocken geht – so war die Idee! So waren meine Gedanken. Doch das funktionierte leider nicht!

Mind over Body, das ist die Herausforderung bei den Ultradistanzen. Das ist genau das, was mich so fasziniert. Ich habe doch mittlerweile einige Erfahrung, also Zähne zusammenbeißen und kämpfen!

Ich biss die Zähne zusammen – schneller wurde ich nicht. Ich wurde immer langsamer. Erstaunlich klar und abgeklärt, fast emotionslos nahm ich die Situation an: „das wird heute nichts“. Keine Selbstgespräche, kein innerer Monolog.
D
as Fazit Stand auf einmal: Der Plan geht nicht auf.

BC ThorstenVP Lausebuche: Martin war da. Ich lag „nur“ 10 Minuten hinter meinem Plan. Position 12. Martin sah mich kommen, nur ein paar Meter. Aber mein Laufstil verriet ihm alles. Eher ein schlurfen als ein laufen, die Füße und Beine – sie klebten wie Blei am Boden. Fast wortlos tauschte ich mit Martin die Getränkeflaschen, nahm die restlichen Gels entgegen. Setzte mich kurz auf einen Stuhl den Martin vor mich hinstellte.

Lief ich weiter? Ja, eigentlich nein. Ich ging weiter. Martin wollte jetzt vorausfahren und dann auf den Brocken wandern, um mich im Ziel in Empfang zu nehmen.

Ich war klar im Kopf, auch gar nicht erschöpft, oder sonderlich müde – nur unfassbar langsam!

Das kann es doch nicht sein! Dehnen. Strecken. Schreien! Nichts half.

Ich nahm mein Telefon. Ich rief Martin an. Ich glaube, er war nicht überrascht. Ich sagte: ich komme nur noch nach Oderbrück. Doch Martin antwortete: Ich komme dir entgegen, wir treffen uns in Königskrug. Für diese Entscheidung bin ich ihm sehr dankbar. Denn die paar Kilometer bis zum Ausstieg in Königskrug fühlten sich grausam an. „Schmerz vergeht, Aufgeben nie“ – oh man, was habe ich gemacht. Ein großer Kloß steckte in meinem Hals.

Dennoch fühlte sich meine Entscheidung nicht falsch an, denn meine Beine waren weiterhin völlig kraftlos.

Ausgestiegen, abgebrochen – nach 69 km!

Fazit:
Sub 8 ist ambitioniert, das war klar. In der Analyse haben wir festgestellt, dass ich im ersten Streckenabschnitt wohl die leichten Bergabpassagen deutlich zu schnell lief und dadurch schon wichtige Energiereserven in den Beinen aufgebraucht hatte.

Aber mein erster DNF hat mich vielleicht auch ein wenig geerdet, ich wurde auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.
Es ist eben nicht alles möglich was man will. Mind over body – ja, aber es gibt Grenzen. Das wurde mir heute klar. Und das ist eine wichtige Erkenntnis. Und deshalb ist es im Nachhinein auch ok so, so wie es abgelaufen ist.
Es ist ein Glück, dass mir das im Harz passiert ist – hier kann ich doch problemlos Revanche üben.

Und das werde ich auch machen!